KI im Unterricht mit Schwerpunkt Informatik
Künstliche Intelligenz verstehen lernen:
Technologische und gesellschaftlich-kulturelle Perspektive
Im Fach Informatik wird in der Sekundarstufe II das Querschnittsthema "Big Data & KI" als inhaltsbezogene Kompetenz ausgewiesen. Auch in der Sekundarstufe I werden im Querschnittsbereich "Informatik, Mensch und Gesellschaft" explizit "Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz" behandelt. Eine fachliche Auseinandersetzung mit KI erfolgt somit verpflichtend im Informatikunterricht und dürfte dort in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.
Über den Informatikunterricht hinaus können niederschwellige Angebote geschaffen werden, um Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen über die Funktionsweise von KI zu aufzuklären.
Ein Angebot mit dieser Zielsetzung wurde von einem Kooperationspartner des IQSH, der Wissensfabrik e. V., in Zusammenarbeit mit der Didaktik der Informatik der Universität Oldenburg entwickelt. In den im Folgenden vorgestellten Modulen wird weitgehend ohne Computer gearbeitet, um die unmittelbare Erfahrbarkeit von KI in den Vordergrund zu stellen.
- Ein Modul, das sich als niedrigschwelliger Einstieg für die Sekundarstufe I im Rahmen von zwei bis vier Unterrichtsstunden eignet, ist "Finde die KI". KI arbeitet oft im Verborgenen von Informatiksystemen, die oft wie selbstverständlich genutzt werden. Ein verantwortungsvoller Umgang erfordert ein grundlegendes Verständnis darüber, wo KI auftauchen kann und welche Eigenschaften KI haben kann.
- Darauf aufbauend kann in der Sekundarstufe I das Modul „Im Dialog mit KI“ in ca. sechs Unterrichtsstunden eingesetzt werden, um ein Grundverständnis für den Aufbau und die Funktionsweise von Sprachassistenten und Chatbots zu schaffen. An alltäglichen Beispielen werden Anwendungen von Künstlicher Intelligenz aufgezeigt und wichtige Fachbegriffe eingeführt und richtig angewendet.
- Für die Sekundarstufe II bietet sich schließlich eine zwei- bis fünfstündige Unterrichtseinheit mit dem Titel "Schlag den Roboter!" an. Den klassischen Ansätzen der KI werden drei Varianten des maschinellen Lernens gegenübergestellt: Überwachtes, unüberwachtes und bestärkendes Lernen. Die Schülerinnen und Schüler lernen diese Varianten spielerisch kennen und das Gelernte kann bei Bedarf im weiteren Unterrichtsverlauf von der Lehrkraft vertieft werden.
Alle Module sind unter der Creative-Commons-Lizenz (CC-BY-NC-SA) veröffentlicht und können somit uneingeschränkt und kostenlos im Unterricht eingesetzt werden.
‚Präzises Prompten‘: Wortschatzarbeit mit der Bild-KI
Das Besondere an bildgenerierender KI ist, dass die Bilder durch Texteingaben erzeugt werden. Anstatt ein Bild zu malen, zu zeichnen oder mit digitalen Designtools zu erstellen, liegt der Schlüssel zu einem guten Ergebnis in der Präzision des Prompts.
Hier ergibt sich eine Gelegenheit, nicht nur das Verhältnis von Text und Bild zu analysieren, sondern dieses Verhältnis erlebbar zu machen: Durch das Generieren eines Bildes (z. B. eine Illustration für eine Klassenzeitschrift), das bisher lediglich in der eigenen Vorstellung bestand, erfahren Schülerinnen und Schüler die Notwendigkeit präziser Formulierungen – nur selten erhält man beim ersten Versuch das gewünschte Ergebnis. Als besonders lernförderlich ist die unmittelbare Rückmeldung herauszuheben, die die Schülerinnen und Schüler durch das Bild-Ergebnis erhalten.
'hybrid creatures': Kaninchen & Elefant, Katze & Chinchilla, Schildkröte & Hamster © Stable Diffusion (04/23), prompted by Dr. Stefanie Junges
Das stetige Überarbeiten und Weiterentwickeln der Texteingabe trainiert die sprachliche Präzision der Schülerinnen und Schüler, erweitern durch das Recherchieren verschiedener Synonyme ihren Wortschatz, veranschaulicht die konnotative Bedeutung von Begriffen und Notwendigkeit von Textüberarbeitung. Die Lehrkraft kann diese Form der Wortschatzarbeit durch entsprechende Hilfsmittel (z. B. Fremd- und Synonymwörterbücher, Recherchefertigkeiten) unterstützen und thematisiert die Relevanz von (assoziativen) Wortbedeutungen, wie sie bspw. für die Interpretation von Lyrik (Symbolik, Motivik usw.) von Bedeutung werden.
Die eigene Schreibkompetenz entwickeln: Mit Mini-Portfolios an Stil, Grammatik und Rechtschreibung arbeiten
Anwendungen wie DeepL-Write geben Schülerinnen und Schülern eine individuelle Rückmeldung zu Sprache, Rechtschreibung und Grammatik ihrer Texte. Ein Lerneffekt stellt sich jedoch erst dann ein, wenn die Schülerinnen und Schüler die Verbesserungsvorschläge der KI nicht einfach übernehmen, sondern ihre eigenen Fehler verstehen und begründet entscheiden, welche Überarbeitungen sinnvoll sind und welche verworfen werden sollten, da sie z.B. die Semantik des Satzes verfälschen können (Wortkonnotationen, Subtext, metaphorische Sprache).
Eine Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern ein kontinuierliches Arbeiten an individuellen Fehlerquellen zu ermöglichen, besteht darin, den gezielten Einsatz von KI zur Textverbesserung als Schritt im Lernprozess zu etablieren. So kann z.B. eine Rohfassung eines eigenen Textes (wie einer Analyse) im Unterricht erstellt und anschließend von einer KI verbessert werden. Die Verbesserungsvorschläge der KI werden für die Lehrkraft dokumentiert (bspw. durch Screenshots oder farbliche Markierungen), so dass Überarbeitungstendenzen im Text sichtbar werden. Die Schülerinnen und Schüler wählen bewusst aus, welche Verbesserungen der KI sie übernehmen und welche sie verwerfen.
© DeepL Write Beta (04/23), prompted by Dr. Stefanie Junges
Am Ende dieses Überarbeitungsprozesses legen die Schülerinnen und Schüler neben der Rohfassung und der Dokumentation der Verbesserungsvorschläge eine überarbeitete Endfassung des eigenen Textes mit einer Stellungnahme vor, in der sie reflektieren, wie und warum diese Überarbeitungsschritte den eigenen Text verbessert haben. Die Lehrkraft erhält so einerseits einen guten Einblick in den Lernprozess und den Lernzuwachs und kann andererseits die Schülerinnen und Schüler durch weitere Hinweise und Folgeaufträge individuell bei der Entwicklung der eigenen Schreibkompetenz begleiten und unterstützen.
Mensch vs. Maschine? Mit KI-Texten Analysieren, Urteilen und Reflektieren üben
Sprachmodelle unterstützen Schülerinnen und Schüler nicht nur bei der Textproduktion, sondern KI-generierte Texte können selbst zum Anschauungsobjekt im Deutschunterricht werden und das Verständnis für Struktur, Argumentationsaufbau und Stilistik guter Texte vertiefen: Was ist an diesem Text gelungen, was nicht? Erfüllt der Text die Kriterien eines poetischen, argumentierenden oder untersuchenden Textes? Lassen sich die Textgattungen überhaupt sinnvoll voneinander trennen? Die generierten Textbeispiele werden so zum Ausgangspunkt einer reflektierten Auseinandersetzung mit Literarizität an sich und können in Partner- oder Gruppenarbeit untersucht und kritisch diskutiert werden.
An diese rezeptive Auseinandersetzung mit KI-Texten kann eine produktionsorientierte Aufgabe gut anknüpfen: Die Schülerinnen und Schüler erstellen – mit oder ohne Hilfe der KI – einen neuen, weiterentwickelten Text. Dabei können Teile des KI-Textes (als Quelle oder Zitat gekennzeichnet) begründet für den eigenen Text übernommen werden. Schülerinnen und Schüler können hier nicht nur den fachlich korrekten Umgang mit Quellen üben, sondern auch ihre eigene Urteilskompetenz verbessern, wenn sie der Lehrkraft zusätzlich zum Endprodukt eine Produktionsskizze vorlegen, die darlegt, wie der Erstellungs- und Auswahlprozess innerhalb der Arbeitsphase gestaltet wurde.
Für diese vertiefte Auseinandersetzung mit dem entstandenen Text benötigen die Schülerinnen und Schüler einerseits bereits Fachwissen über den Unterrichtsgegenstand bzw. die Textgattung (Lyrik, Kurzgeschichte, Argumentationstypen etc.), um die Ergebnisse der KI kritisch hinterfragen und kontextualisieren zu können. Andererseits erfordert diese Aufgabe eine ausreichende Methodenkompetenz: Die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem und kooperativem Arbeiten ist hierbei zentral.
'Poem machine' © Stable Diffusion (04/23), prompted by Dr. Stefanie Junges
Roboter, Automaten und künstliche Menschen – Künstliche Intelligenz in der Literatur
Häufig werden Sprachmodelle wie ChatGPT als Werkzeug im bzw. für den Deutschunterricht erprobt. Dabei ist auch eine inhaltliche Anknüpfung naheliegend. Die Vorstellung eines künstlichen Menschen ist nicht neu und wurde im Laufe der Geschichte immer wieder literarisch verhandelt. Eine Beschäftigung mit KI und Literatur kann sich beispielsweise an folgenden Fragen orientieren:
- Was kennzeichnet die Figuren und ihr Handeln als ‚menschlich‘ (und was bedeutet das)?
- Wie wird das Verhältnis von Mensch und Maschine dargestellt?
- Wie wird die erzählte Welt medial konstruiert? Wird die Wahrnehmung dieser Welt medial verzerrt? (Virtual Reality, Filterblasen)
- Wie verändern und entwickeln sich Figuren durch die Interaktion mit den Automaten/Robotern/der KI?
- Gibt es sprachliche und/oder stilistische Auffälligkeiten, die eine Differenz zwischen menschlichen Figuren und künstlichen verdeutlicht? (Polyperspektivität)
Literatur über Künstliche Intelligenz
Eines der bekanntesten Werke, an dem sich diese Fragen gut nachvollziehen lassen, ist E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1816 bzw. Die Automate, 1819): Phantastische Erzählverfahren, die Konstruktion einer medial vermittelten und gebrochenen Realität und literaturanthropologische sowie psychopathologische Themen, aber auch das charakteristische Automaten-Motiv können mit technologischen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Robotik, Virtual und Augmented Reality im Unterricht betrachtet und untersucht werden.
Auch moderne Jugendromane greifen das Thema Künstliche Intelligenz auf und eignen sich somit für die inhaltliche Auseinandersetzung. So macht bspw. Kazuo Ishiguro in seinem Roman Klara und die Sonne (2021) eine KF, eine Künstliche Freundin, zur Protagonistin. Klaras Aufgabe ist Begleitung junger Menschen ins Erwachsenensein, die sie als Modell B2 mit besonderer Empathie und großer Neugier erfüllt, denn auch die KF muss viel lernen, um den Menschen beizustehen. Die besondere Ruhe und Gediegenheit von Ishiguros Sprachstil lässt sich als literarischer Gegenentwurf zu anderen Texten vergleichend untersuchen. Karl Olsbergs Boy in a White Room (2019) verhandelt die Frage der Verlässlichkeit unserer Wahrnehmung und baut einen Spannungsbogen mit verschiedenen Wendepunkten ein. Die Liste literarischer Texte, die das Thema Künstliche Intelligenz aufgreifen, dürfte in Zukunft weiter wachsen.
Auswahl von Literatur zum Thema Künstliche Intelligenz
Die Künstliche Intelligenz als Autor?
Eine weitere zentrale Verbindung der Themen Literatur und Künstliche Intelligenz zeigt sich mit Blick auf die Frage nach der Urheberschaft von Texten: Die Differenzierung von textimmanenter und autorzentrierter Hermeneutik, zwischen Erzählinstanz und Autor, wird durch Sprachmodelle wie ChatGPT mindestens perspektivisch erweitert: Kann eine Maschine Urheber eines Textes sein, wenn ihr kein Bewusstsein inhärent ist? Braucht Literatur eine Intention? Ist die Maschine das Werkzeug und der Mensch, der promptet, Urheber? Müssen Urheber und Schriftsteller differenziert werden? Kann die Maschine mit ihrem Text Emotionen transportieren (und ist das überhaupt ein Merkmal von Literatur)? Besonders interessant werden diese Fragen bei der Auseinandersetzung mit Literatur, die bereits mithilfe digitaler Verfahren und Künstlicher Intelligenz verfasst wurden, wie Clemens Setz’ Bot. Gespräch ohne Autor (2018) oder Hannes Bajohrs Halbzeug: Textverarbeitung (2018).1
© DALL-E (11/22), prompted by Dr. Stefanie Junges
Multimodalität im Deutschunterricht
Nicht zuletzt bietet das Thema Künstliche Intelligenz im Deutschunterricht deshalb an, da dieser ohnehin Multimedialität in den Blick nimmt. So können Filme zum Thema wie Metropolis, Matrix oder I, Robot, der auf Isaac Asimovs berühmten Roman Ich, der Robot (1950) fußt, ebenso behandelt werden wie andere mediale Formate. So ließe sich beispielsweise Hoffmanns Sandmann mit Blick auf diverse Filme, Theaterinszenierungen, Comics und Graphic Novels sowie musikalische Rezeption und die Darstellung von Puppen, Automaten und Maschinen sowie ihr Verhältnis zum Protagonisten Nathanael untersuchen.